Am 05.07.2021 hatte unsere Klasse die Möglichkeit, ein digitales Zeitzeugengespräch zu führen. Organisiert wurde die digitale Begegnung vom Bistum Mainz, das seit dem Jahr 2001 in Kooperation mit dem Maximilian-Kolbe-Werk Begegnungsveranstaltungen mit Überlebenden der NS-Herrschaft durchführt. Da in diesem Jahr keine Besuche der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in den Schulen möglich sind, wurde uns ein digitales Zeitzeugengespräch per Videokonferenz angeboten.
Alodia Witaszek-Napierala stammt gebürtig aus Polen. Sie hat uns von ihrer Kindheit während und nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt.
Alodia kam am 03.01.1938 in Polen zur Welt. In den ersten Kriegsjahren wurde ihr Vater als Mitglied des Widerstands verhaftet und hingerichtet, ihre Mutter wurde deportiert. Die fünf Kinder wurden aufgeteilt, Alodia und ihre jüngere Schwester kamen für einige Zeit bei ihrem Onkel in ihrer Heimatsstadt Posen unter, dann jedoch wurden sie nach Deutschland zur „Germanisierung“ verschleppt. Dazu wurden sie durch mehrere Aufenthalte, u.a. in einem Jugendkonzentrationslager, ihrer polnischen Identität beraubt und glauben gemacht, dass sie deutsche Waisenkinder seien. Alodia war damals 5 Jahre alt.
Im Anschluss an die „Germanisierung“ wurden Alodia und ihre Schwester voneinander getrennt und bei verschiedenen Familien untergebracht. Alodia hatte eine sehr liebevolle deutsche Familie.
Nach dem Krieg suchte Alodias polnische Mutter ihre Kinder und über einen regen Briefkontakt mit der deutschen Mutter wurde Alodias Rückkehr nach Polen veranlasst. Der Kontakt zu Alodias deutscher Familie blieb bestehen, auch nach der schwierigen Zeit der Wiedereingliederung in Polen.
Sie und ihre Schwester waren für lange Zeit Fremde in ihrem eigenen Land, nicht mehr ihrer Muttersprache mächtig, die eigene Familie und Kultur war ihnen unbekannt. Und genau so wurden sie auch behandelt.
In etwa 1,5 Stunden hat uns Frau Witaszek-Napierala über diese einschneidenden Erlebnisse ihrer Kindheit erzählt.
Im Anschluss durften wir ihr Fragen stellen. Durch den direkten Dialog wurde uns deutlich, wie sehr die nationalsozialistische Politik Auswirkungen auf das Leben vieler Kinder hatte und wie sehr die Zwiegespaltenheit zwischen zwei verschiedenen Kulturen die betroffenen Menschen heute noch prägt. Vor allem die kleinen Details, die sie uns erzählt hat, haben ihrer Erzählung Leben eingehaucht und es umso unverständlicher gemacht, dass so etwas Schreckliches tatsächlich passieren konnte.
Eine Erkenntnis, die nur schwer durch ein Geschichtsbuch vermittelt werden kann.
Ich persönlich finde es vor allem beeindruckend, wie gut sich Alodias polnische Mutter und ihre deutsche Adoptivmutter und auch später beide Familien verstanden haben, dass Frau Witaszek-Napieralas Kinder nicht nur polnische, sondern auch deutsche Großeltern hatten.
Es ist für mich sehr bemerkenswert, dass Frau Witaszek-Napierala sich über eine so lange Zeit in einem anderen Land die deutsche Sprache bewahrt hat, sodass sie diese noch fast flüssig spricht.
Aufgrund der Corona-Pandemie fand das Gespräch online, über Zoom, statt. Frau Witaszek-Napierala nahm zusammen mit ihrer Begleiterin, Frau Stephanie Roth vom Bistum Mainz, teil, die sie unterstützte und half, wenn ihr die deutschen Worte fehlten. Wir waren aus unserem Klassenraum als ganze Klasse zugeschaltet.
Trotz einiger technischen Störungen ist das Gespräch problemlos verlaufen, wir konnten uns gegenseitig gut verständigen.
Ein Gespräch online zu führen, ist noch einmal etwas ganz anderes, als es „in persona“ zu tun. Durch die räumliche Entfernung ist immer eine gewisse Distanz da, die es in einem direkten Gespräch so nicht gibt, aber Frau Witaszek-Napieralas Art zu erzählen, hat uns alle beeindruckt
Deswegen sind wir sehr dankbar für diese Alternative, dass wir zu den wenigen gehören dürfen, die noch die Möglichkeit hatten, mit jemandem ins Gespräch zu kommen, der uns aus eigener Erfahrung von den Grausamkeiten des NS-Regimes berichten konnte.
Wir bedanken uns bei Alodia Witaszek-Napierala, Frau Roth und unserer Geschichtslehrerin Frau Stich für diese einmalige Möglichkeit.
Sonja Rohmann, 10c
