8 Uhr – Es gab Frühstück in der Magdeburger Kaserne. Heute stand die Erkundung der Stadt Terezín an. Um 9 Uhr trafen wir uns dafür im Dachboden der Magdeburger Kaserne, welche früher als Gebäude für die jüdische Selbstverwaltung genutzt wurde. Das heißt, unter der Leitung der SS, welche nicht ständig in großer Anzahl anwesend war, wurde hier von Lagerinsassen das Geschehen des Lagers verwaltet. Beispielweise wurden hier die Deportationslisten geschrieben und/oder kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte oder das Theaterstück „Brundibar“ organisiert. Dort im Dachboden wurde uns die Geschichte Theresienstadts nähergebracht:
Die Stadt Theresienstadt wurde 1780 von Joseph II. gegründet und diente ursprünglich dazu, die Stadt Prag vor preußischen Angriffen durch eine Festung zu schützen. Der Name „Theresienstadt“ geht auf die Mutter Josephs zurück: Maria Theresia. Die einfache Struktur einer Kasernenstadt und die gute Sicherung des Areals machten Theresienstadt zu einem nahezu perfekten Ort für die Zwecke der Nationalsozialisten.
Neben diesen örtlichen Gegebenheiten sahen und beschäftigten wir uns auch mit den Umständen, unter denen die Häftlinge leben mussten.
Denn die Sammelunterkunft, die wir besichtigten, war alles andere als gemütlich: 60 Personen mussten auf engstem Raum miteinander leben, jeder hatte nur etwa 2 Quadratmeter Platz. Privatsphäre oder gar Hygiene waren lediglich ein Wunschdenken der meisten. Auf diese katastrophalen Bedingungen folgten viele Krankheiten und die Sterberate war dementsprechend hoch.
Etwas besser hatten es die berühmten Persönlichkeiten, die nach Theresienstadt deportiert wurden. Auch von diesen haben wir eine Unterkunft besichtigt, eine Familie hatte dort beispielsweise eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung für sich. Aber wie alles in Theresienstadt war auch dieser scheinbare Komfort nicht ohne Hintergedanken: denn Theresienstadt war als Durchgangslager bekannt, wie wir erfuhren: es war hier, wo prominente Persönlichkeiten hingebracht und auch zu Propagandazwecken genutzt wurden. Auch sollte dadurch Nachfragen vorgebeugt werden, die zur Aufdeckung der systematischen Vernichtung hätten führen können. Und die Nationalsozialisten waren mit ihrem Plan erfolgreich.
Denn selbst, als Theresienstadt von einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) besichtigt wurde, hielt die Farce stand: Theresienstadt war zu einem Vorzeigeort unter den Konzentrationslagern aufbereitet worden, die gesamte Stadt wurde extra für diesen Besuch verschönert, Geschäfte wurden eröffnet, abgemagerte Gefangene deportiert und denen, die dem Bild der Propaganda entsprachen, bestimmte Sätze instruiert. Szenen, wie Kinder, die einen SS-Mann zum Spielen bitten, sollten uns heute zeigen, wie absurd das Ganze war. Doch die Delegation des IRKs fasste das Ganze als überwiegend positiv auf und verzichtete daraufhin auf weitere Besuche von anderen Konzentrationslagern.
Wie schwierig das Leben auch der Kinder war, zeigen die vielen Kinderbilder, die wir in dem Gebäude der ehemaligen Schule besichtigten. Die Kinder hatten diese im Rahmen des Schulunterrichts, den sie hier, trotz Verbot der Nationalsozialisten, erhalten haben, gemalt. Die Bilder sind von düsteren Farben geprägt, die einen grausamen Alltag und das Leid der Menschen ausmalten.
Kurz vor dem Mittagessen ging es für uns dann noch in Richtung des Krematoriums, zunächst jedoch zur Zeremonienhalle, wo die Leichen der Insassen zur Beerdigung vorbereitet wurden. Auch hatte die jüdische Selbstverwaltung dort die Möglichkeit geschaffen, zumindest noch kurz Abschied zu nehmen.
Wir haben hier auch die Särge gesehen, in denen die Toten begraben wurden. Es waren sehr kleine Särge, so klein, dass man sich unwillkürlich fragte, wie die Menschen dort überhaupt hineingepasst haben konnten. Die Erkenntnis, die kurz darauf kam, war ernüchternd: vermutlich lag es an der anstrengenden Arbeit und dem fehlenden Essen, dass die Menschen klein und abgemagert genug für diese waren.
Das waren die Eindrücke, die wir mit zum Mittagessen nahmen.
Danach machten wir uns wieder auf, diesmal jedoch auf direktem Weg zum Krematorium. Es ist ein großes, gelbes Gebäude, das mitten auf dem Friedhof steht. Vielleicht nicht direkt unscheinbar, aber zumindest nicht so bedrohlich, dass man von ihm erwartet, Zeuge der vielen Toten zu sein.
Innen sind noch die alten Öfen vorhanden, ebenso wie Tische zur Obduktion. Es war gespenstisch ruhig, trotz der vielen Personen, die sich im Krematorium aufhielten. Jeder Schritt auf dem Boden hallte unnatürlich laut wider.
Und trotz der bedrückenden Stimmung blieb es schwierig, sich das ganze Ausmaß, die ganze Masse an Toten vorzustellen, die hier verbrannt wurden. Verbrannt, obwohl das den Sitten und Anforderungen des Judentums widerspricht.
Diese Stille hielt sich in unserer Gruppe noch für mehrere Minuten.
Mit diesen Emotionen, den noch unverarbeiteten Eindrücken, kehrten wir wieder in unsere Unterkunft zurück.
Dort setzten wir unser Thema „von Nummern zu Namen“ um: anhand verschiedener Dokumente versuchten wir einzelne Geschichten von Häftlingen zu rekonstruieren. Wir gaben Ziffern, einfachen Häftlingsnummern, einen Sinn, eine Geschichte, einen Namen. Es war beeindruckend, zu sehen, was für unterschiedliche Schicksale die Menschen hatten, bevor sie nach Theresienstadt kamen, möglicherweise auch aufeinandertrafen. Dass sie eben nicht nur Zahlen waren, sondern Menschen mit einem Leben, das ihnen entrissen wurde.
Insgesamt sah das Ghetto 150.000 Menschen, davon 10.000 Kinder. Von all diesen kamen 37.500 bereits in Theresienstadt um, von den restlichen wurde der Großteil später in anderen Konzentrationslagern ermordet.